Mit dem „Vater Unser“ beten

Das „Vater Unser“ als Gebet der Hingabe und des befreiten Daseins

Das „Vater Unser“ ist wie ein geschliffener Diamant, wie ein Juwel. Jeder einzelne Satz in seiner Kürze reflektiert den weiten offenen Horizont eines Lebens vor und mit Gott. Es ist ein Gebet der Hingabe an Gott und des von Sorge, Schuld und Angst befreiten Daseins, wie Jesus es seine Mitarbeiter und Vertrauten gelehrt hat. Es ist ein Gebet, in dem er ihnen – und uns – das Geheimnis seines eigenen Lebens erschließt und zugleich einlädt, dieses Leben in der Hingabe an Gott und des befreiten Daseins selbst betend nachzuvollziehen:

Unser Vater im Himmel

Wir sind in dieser Anrede Gottes hineingenommen in die einzigartige Beziehung, die Jesus selbst zu Gott hatte: die vertrauensvolle Beziehung eines Sohnes zu seinem Vater. Im Unterschied zu menschlicher Vaterschaft, die oft gebrochen, begrenzt, manchmal unversöhnt erlebt wird, ist die Beziehung zum Vater „im Himmel“ eine des ungebrochenen und unbegrenzten Vertrauens, eine zutiefst versöhnte Beziehung. Jesus nimmt uns hinein in seine tiefe Beziehung zu Gott, seinem Vater, der auch ganz für uns da ist und unser Bestes will und tut. Zugleich kann man dies Gebet nur im Horizont aller beten, die in dieser Beziehung zu Gott stehen: Es ist kein individuelles Gebet. So wie ich durch Jesus in diese vertrauensvolle Beziehung zu Gott eintrete, so stehen gleichzeitig viele Menschen vor, neben und nach mir in dieser Kindschaft zu Gott. Sie sind und werden mir Geschwister. Nur gemeinsam haben wir Gott zum Vater. Die Beziehung zum Vater prägt das Leben von Jesus und so auch unser Leben: Was Gott für uns wichtig ist, ist darum auch uns wichtig. Die Hingabe an Gott kommt darum in den ersten drei Bitten, die mit „Dein“ beginnen, zum Ausdruck. Die folgenden Bitten, die um „unser“ Anliegen kreisen, befreien uns von der Last der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und führen uns zu einem befreiten Dasein, weil Gott uns diese Lasten abnimmt.

Geheiligt werde dein Name

Gott selbst kann man nicht sehen, hören oder fühlen, also nicht direkt mit unseren Sinnen erfahren. Gott erfahren wir nur, wenn wir von ihm reden. Darum kommt alles darauf an, recht von ihm zu reden. Wo immer von Gott die Rede ist, soll es so geschehen, dass es mit rechtem Ernst, im Bewusstsein der Anwesenheit Gottes und seinem Gottsein entsprechend geschieht. Es soll so geschehen, dass wo immer von ihm gesprochen wird, seine Liebe, Güte und sein Erbarmen zu uns aber auch unsere tiefe und letzte Verantwortlichkeit ihm gegenüber zum Ausdruck kommt. Wenn Gott für uns nur in seinem Namen greifbar und erfahrbar wird, kommt alles darauf an, diesen Namen in unserem Umfeld nicht zu verschweigen, sondern Gott im rechten Reden von ihm zu ehren. Und indem wir nicht nur von ihm, sondern auch im Bewusstsein seiner Gegenwart und Liebe mit ihm reden im Gebet, heiligen wir seinen Namen.

Dein Reich komme

Es war der zentrale Anliegen von Jesus, das sich durch seine ganze Verkündigung zieht, dass Gott in dieser Welt, bei seinen Menschen und in unserem Leben zur Herrschaft kommt: Dass alle Bereiche des Lebens von ihm geleitet und bestimmt sind. Dass Gottes Herrschaft sich durchsetzt, ist dem Glauben gewiss, auch wenn es Gottes Geheimnis bleibt, wie das geschieht. Aber dass es bei uns und durch uns geschieht, so wie es in außerordentlicher Weise im Leben von Jesus und durch ihn geschah, dass ist das Anliegen dieser Bitte. Wir geben uns hiermit Gott hin, dass in unserem Umfeld Gott zur Herrschaft kommt – nicht zwanghaft oder mit Gewalt, sondern auf die Art, wie sie bei Jesus zum Vorschein kam: mit der Macht der Liebe, Annahme und des für andere Daseins.

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden

Diese Bitte konkretisiert die vorangegangene. Im Himmel, der Sphäre der unmittelbaren Gegenwart Gottes, geschieht sein Wille unhinterfragt. Dass er hier auf Erden auch gegen Widerstände, gegen die Mächte des Bösen geschieht, ist der eigentliche Kern der Bitte. Jesus betete dies in der letzten Nacht vor seinem Tod: sein Einwilligen in Gottes Willen bedeutete das Aufsichnehmen von Leid und Tod, Verachtung und Einsamkeit, ja sogar letzte Gottverlassenheit. Es bedeutete zugleich aber auch die Überwindung von Leid und Tod, der Schuld und des Bösen und begründete eine neue Gemeinschaft. Wenn wir diese Bitte aussprechen, geben wir uns Gott hin im tiefen Vertrauen darauf, dass er auch im Angefochtensein mit uns zum Ziel kommt. Wir vertrauen darauf, dass Gott in unserem Leben und in unserer Welt Gutes bewirkt, wenn wir an seinem Willen orientiert leben auch gegen alle Widerstände.

Unser tägliches Brot gib uns heute

Wir geben mit dieser Bitte unsere Sorgen um das tägliche Auskommen mit allem was dazugehört ab. Wir empfangen im Leben letztlich alles von Gott. Jesus lehrt uns, ganz konkret damit zu rechnen, dass Gott uns das gibt, was wir gerade nötig haben. Der Zeitraum ist dabei überschaubar: der heutige Tag. Für diesen Tag rechnen wir mit Gottes gnädigem Sorgen für uns. Darum geben wir unser Sorgen an ihn ab. Für einen Tag dürfen wir sorgenfrei leben. Und am nächsten Tag dürfen wir auch wieder unsere Sorgen abgeben. Mit dieser Bitte leitet Jesus uns an, in der Gegenwart zu leben. Diese ist durch Gottes Fürsorge bestimmt.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Wir geben hiermit unsere Schuld ab. Gott befreit uns von der Last der Vergangenheit. Jeder neue Tag ist eine neue Chance. Jeden Tag, jede Minute dürfen wir ganz neu anfangen. Wir müssen die Last der Vergangenheit nicht mit uns herumschleppen. Was wir für uns selbst in Anspruch nehmen, haben wir aber auch unseren Nächsten, unseren Mitmenschen zuzugestehen: auch ihnen gibt Gott durch die Vergebung immer wieder einen neuen Anfang, wenn sie darum bitten. Darum haben wir auch sie frei zu geben. So können wir befreit miteinander leben. Wir sind befreit von unserer eigenen Schuld und befreit von der Last, anderen ihre Schuld nachzutragen.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen

Wir geben hiermit auch unsere Angst vor der Zukunft an Gott ab. In der Gemeinschaft mit Gott zu bleiben bedeutet, an allem Anteil zu haben, was Gott für uns bereit hat: Geborgenheit, Angenommensein, Hoffnung des ewigen Lebens. Das steht für die Zukunft in Frage, weil wir für uns keine Garantie abgeben können, wie wir auf alle möglichen Entwicklungen in unserem Leben reagieren werden. Werden wir die Kraft haben, bei Gott zu bleiben, wenn es in einer schwierigen Situation darauf ankommt? Wir geben diese Angst an Gott ab, der größer ist als alles, der unsere Zukunft kennt und uns so führt, dass keine Situation uns zu schwer wird. Am Ende wird er alles zum Guten führen und das Böse überwinden – in der Welt und in unserem Leben.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

Wir geben uns Gott hin und empfangen ein befreites Dasein in dem tiefen Vertrauen, dass Gott unendlich größer ist als wir und unsere Möglichkeiten. Darum wenden wir unseren Blick zum Schluss noch einmal auf Gottes unbegrenzte Herrschaft, sein Durchsetzungsvermögen und seine große Ausstrahlung in unser Leben und unsere Welt und bekräftigen das mit einem „Amen“: das gilt !

Mit dem „Vater unser“ durch die Woche

Das Vater Unser ist uns Vorbild und Anleitung auch zum eigenen Gebet. Wenn wir an jedem Tag der Woche einen Satz des Vater Unsers als besonderen Schwerpunkt nehmen, können wir so durch die Woche gehen: Wir beginnen am Sonntag mit der Anrede Gottes und mit dem Lobpreis, mit dem das Vater Unser schließt. Am Sonntag beginnt die Woche und hier hin führt sie wieder. Dann folgen die einzelnen Bitten des Vater Unsers durch die Wochentage. Dem Vater Unser sind thematisch Gebetsanliegen zugeordnet, die uns in die Verantwortung vor Gott für unsere ganze Welt hineinnehmen. Wir können dazu die aktuellen oder unsere persönlichen Anliegen nennen:

Lobpreis am Sonntag

Vater unser im Himmel,
dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

  • Die Neuschöpfung in der Auferstehung Christi: Gebet für die Gemeinde, den Leib Christi, und ihr geistliches Wachstum und ihre Vollendung auf Christus hin.
  • Die Gottesdienste in der ganzen Welt: Gebet um Gemeinschaft und Auferbauung im Glauben und alle, die in ihrem Dienst stehen.
  • Der Ruhetag: Gebet um Ruhe, Erholung, Freude und neue Kraft für den Alltag

Fürbitte am Montag

Geheiligt werde dein Name.

  • Heiligung des Namens Gottes im Alltag: Gebet um ein rechtes Stehen vor Gott in allen Entscheidungen des Alltags, – Bitte um das Gelingen der Arbeit in der Woche,  – Gebet, Gott in allem, Gutem und Schwerem, die Ehre zu erweisen
  • Glaubwürdiges Zeugnis der Christen in der Welt: Gebet für die Gemeindeglieder um Bewährung ihres Christseins in der Familie, unter Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen
  • Geltung des Wortes Gottes, der heiligen Schrift, in Kirche und Gemeinde: Gebet um Leitung und Weisheit für Kirchenleitung und Synoden, Superintendenten, Pfarrer und Presbyter in den schwierigen Entscheidungen, denen sie ausgesetzt sind

Fürbitte am Dienstag

Dein Reich komme.

  • Durchsetzung der Herrschaft Gottes in der Welt: Gebet für die Ausbreitung des Wortes Gottes, die Verkündigung des Evangeliums, für Missionare und Missionswerke, für Verkündiger, Evangelisten und Lehrer
  • Örtliche Gemeinde- und Jugendarbeit: Gebet um Erweckung unter den Kirchenchristen, für eine neue Sicht der Kirchenfernen, besonders der jungen Familien, der Konfirmanden und Katechumenen, der Jugendlichen, für eine neue Leidenschaft, sie zu gewinnen für Christus
  • Seelsorgliche Hilfen : Gebet um Wegweisung für Angefochtene und Zweifelnde, Irrende und Suchende, für geistliches Wachstum der Mitarbeiter

Fürbitte am Mittwoch

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

  • Gottes Wille in unserem Leben: Gebet für die Ehen und Familien, für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Glauben, für alle Erzieherinnen und Lehrer, für Vorgesetzte und Untergebene, Arbeitgeber und Arbeitnehmer um verantwortungsvolles Handeln gegeneinander
  • Verantwortung der Regierenden: Gebet für die Bundesregierung, den Bundeskanzler und die Minister, für die Parteien und alle Verantwortliche in Politik und Wirtschaft um den rechten Gebrauch ihrer Macht zum Wohle aller
  • Achtung der Gebote in der Gesellschaft: Gebet für Verfolgte und Entrechtete, um mutiges Eintreten gegen Rassismus, um Zivilcourage in Auseinandersetzungen für die konkrete Geltung der Gebote, für die gerechte Urteilsfindung in der Justiz und wahre Berichterstattung in den Medien

Fürbitte am Donnerstag

Unser tägliches Brot gib uns heute.

  • Das nötige Brot zum Leben für alle: Gebet für alle Hungernden, Armen und Obdachlosen und die Bereitschaft zu teilen, für die gerechtere Teilung der Arbeit und des Kapitals, die Verantwortung der Politiker und Manager in aller Welt, für ein Miteinanderteilen der Menschen
in der einen Welt
  • Das Brot des Lebens und die Gemeinschaft der Glaubenden (Abendmahl): Gebet für die Einheit der Christen aller Kirchen im Glauben, die Evangelische Allianz weltweit und vor Ort, die 
örtliche Zusammenarbeit der Kirchen und Gemeinden
  • Die diakonische Aufgabe der Gemeinde Jesu: Gebet für die Werke, die Notleidenden helfen, für die Mitarbeiter in der Diakonie, für
 Ärzte, Pfleger und Schwestern

Fürbitte am Freitag

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

  • Vergebung durch Jesu Kreuzestod: Gebet für alle, die in Schuld verstrickt sind, dass sie die Vergebung suchen und finden, um prophetische Vollmacht für alle Seelsorger, Sünden aufzudecken und Menschen im Namen Jesu freizusprechen
  • Versöhnter Umgang miteinander: Gebet für Menschen, die im Streit miteinander liegen, für die, die uns Unrecht getan haben, uns feindlich gesinnt sind, für die Überwindung der Unversöhnlichkeit in der Gemeinde, alles Richten und gegenseitigen Verurteilens
  • Dienst der Versöhnung und des Friedens in der Welt: Gebet für alle, die sich für den Frieden in der Welt einsetzen, die den Dienst der Versöhnung tun, für die Versöhnung und den Frieden unter den Völkern

Fürbitte am Samstag

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

  • Bewahrung der Gläubigen in den Versuchungen: Gebet um Bewahrung der Gläubigen in den Verführungen unserer Zeit, um Standhaftigkeit im Nicht-Anpassen die Maßstäbe dieser Welt, um das Erhaltenbleiben der rechten Lehre und den rechten Gebrauch der Sakramente
  • Standhaftigkeit in Not: Gebet für alle Gefährdeten und ihre Hilfe, alle Kranken und ihre Heilung, alle Einsamen und ihr Halt, alle Sterbenden und ihr Heil, alle Trauernden und ihr Trost
  • Vollendung des Reiches Gottes: Gebet für das Volk Israel und die Erkenntnis ihres Messias, für alle um des Evangeliums willen Verfolgten und Gefangenen, und für die, die sie verfolgen, Maranatha (heißt: unser HErr, komm)!